Leben ist Befreiung aus dem Diktat des Umfelds; und Ver­weis auf eine Freiheit, vor der wir uns fürchten.

(© Michael Depner, Wuppertal)

Fragen an den Psychotherapeuten

Interview mit Herrn Dr. Michael Depner

Weshalb gehen Menschen zum Psychotherapeuten, wie können wir werden, was wir sind, was hat es auf sich mit der Freiheit, dem Altruismus und den Krisen. Diese und viele weitere Fragen beantwortet uns Dr. Michael Depner, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeut mit eigener Praxis in Hattingen, Deutschland. Zuletzt von ihm erschienen: Seele und Gesundheit: Heilmittel und psychologische Tests.

Ein Psychiater ist Facharzt und darf im Gegensatz zum Psychotherapeuten Medikamente verschreiben. Gibt es noch andere Unterschiede?

Im Grundsatz nicht. Viele Psychiater orientieren sich jedoch am biologischen Erklärungsmodell für psychische Störungen. Daher verwenden sie oft vorrangig Medikamente. Psychotherapeuten gehen eher davon aus, dass psychologische Faktoren eine größere Rolle spielen als biologische.

Was ist der Unterschied zwischen Psychoanalyse und Psychotherapie?

Die Psychoanalyse ist eine der gängigen Psychotherapiemethoden. "Psychotherapie" ist der übergeordnete Begriff.

Was haben Sie für eine Ausbildung?

Abgesehen davon, dass ich Facharzt für Psychiatrie bin, habe ich noch zwei psychotherapeutische Zusatzausbildungen absolviert: eine Ausbildung zum tiefenpsychologischen Therapeuten und eine zum Gestaltpsychotherapeuten.

Welche Therapiemethoden wenden Sie an?

Die tiefenpsychologische...

Was hat Sie dazu bewogen, genau diese Richtung einzuschlagen?

Die tiefenpsychologische Therapie ist aufdeckend. Sie versucht, unbewusste psychische Dynamiken bewusst zu machen. Ich gehe davon aus, dass tiefergehende Veränderungen leichter durch Erkenntnisse als durch Vorsätze zu erreichen sind. Die Verhaltenstherapie als wichtigste Alternative zu den aufdeckenden Methoden setzt vermehrt auf konkrete Veränderungsvorsätze.

Sind Freud, Jung und Adler noch zeitgemäss?

Alle drei haben wesentliche Grundlagen erarbeitet, von denen viele auch heute noch gültig sind. Trotzdem ist die Zeit nicht stehen geblieben. Für mich selbst stehen die klassischen Konzepte nicht mehr im Vordergrund. Ich gehe davon aus, dass sich auch die meisten anderen Psychotherapeuten nur noch locker an Freud, Jung und Adler orientieren.

Welche Personen (Psychologen, Therapeuten, Analytiker...) haben Sie beeinflusst?

Das waren sehr viele. Auf meiner Webseite sind die wichtigsten davon aufgelistet. > Seele und Gesundheit, Literaturnachweis

Wie stehen Sie zu Ihrem Beruf? Was bedeutet Ihnen Ihre Arbeit?

Mein Beruf ist neben meiner Familie das wesentlichste Standbein meines Lebens. Er bietet mir ständig neue Aufgaben, deren Bearbeitung auch meine persönliche Entwicklung befruchtet.

Muss ein Psychiater auch zum Therapeuten?

Schaden kann es nicht. Die Kommunikation mit einem Therapeuten kann wesentliche Anstösse geben um störende Ungereimtheiten der eigenen Sicht auf die Welt zu beseitigen. Auch Psychiater leiden unter den Begrenzungen ihres Wissens über sich selbst.

Der Psychoanalytiker Otto Kernberg erzählte in einem Interview, er sei bei einer Sitzung mit einer schizophrenen Patientin, die sehr wirres Zeugs erzählt habe, das er nicht verstand, eingeschlafen. Ist Ihnen das auch schon passiert?

Nein. Bei manchen Patienten ist es aber auch für mich eine ziemliche Herausforderung 50 Minuten lang aufmerksam zu sein. Nicht immer gelingt mir das.

Früher galt es als Kunstfehler, wenn ein Psychotherapeut einem Klienten oder Patienten etwas Persönliches erzählte. Hat sich das geändert? Ist es gar hilfreich als Psychotherapeut offener zu sein?

Ich selbst erzähle auch Persönliches; wenn es mir in kleinen Dosen angemessen erscheint. Man muss aber stets darauf achten, dass man die eigene Person nicht in den Vordergrund stellt.

Was beschäftigt Sie derzeit am meisten?

Ich meditiere sehr viel um mich möglichst weit aus meiner Identifikation mit meiner Person herauszulösen.

Was sind Ihre Lieblingsthemen?

Religion und Spiritualität.

Wie gehen Religion und Psychologie zusammen? Hat die eine Richtung etwas, was der anderen fehlt?

Die Psyche ist meines Erachtens, wie alles andere auch, in einer primären Wirklichkeit verankert, also in jener, der sich auch die Religion zuwendet. Es macht daher Sinn, in der Therapie auch spirituellen Themen Raum zu geben.

Hat der Glaube seinen Ursprung in der Intuition oder in der Sozialisation und Erziehung?

Glaube und Religion sind nicht dasselbe. Meist werden Glaubensinhalte durch Erziehung vermittelt und sie kümmern sich wenig darum, was wahr ist und was nicht. Sie sind beliebig austauschbar. Religion ist eigentlich eine Wissenschaft. Es ist die Wissenschaft vom Verhältnis des Individuums zur absoluten Wirklichkeit. Glaubensinhalte können auch intuitiv zustande kommen. Auch dabei ist die wichtigste Frage: Sind sie wahr oder nicht?

Ihr Zitat: «Spiritualität ist die Rückkehr des Ich aus dem Ego ins Selbst“ klingt philosophisch.

Das Ich, mit dem wir dem Alltag begegnen und Rollenspieler in der Raumzeit sind, ist egozentrisch. Spiritualität strebt danach, der Egozentrizität zu entkommen, weil sie eine schwerwiegende Beeinträchtigung der seelischen Gesundheit zur Folge hat. Das absolute Selbst kann - behelfsweise - als ein Ich aufgefasst werden, wenn man dabei berücksichtigt, dass ihm das Du nicht gegenübersteht, sondern dass es das Du umfasst.

Wie können wir "ganz" werden?

Indem wir erkennen, dass wir es eigentlich sind.

Welches sind die häufigsten Probleme mit denen Menschen zu Ihnen kommen?

Ängste, Depressionen, Suchterkrankungen, ADHS, Psychosen, Beziehungskonflikte, Überforderungen am Arbeitsplatz.

In Ihrer Karriere als Psychiater und Psychotherapeut haben sie schon viele Menschen in Krisensituationen begleitet. Unterscheidet sich die aktuelle Situation von „normalen“ Krisen?

Falls Sie damit auf die gesellschaftlichen Krisen anspielen, so sehe ich den wesentlichen Unterschied darin, dass heute mehr und mehr Menschen von der Sorge geplagt werden, dass es sich bei der derzeitigen Entwicklung um etwas handelt, das nicht mehr kontrolliert werden kann und in eine dystopische Zukunft führen könnte.

Zunehmend plagen Menschen existenzielle Ängste, aber auch Ängste, die nicht klar benannt werden können, die vielleicht einfach ein mulmiges Gefühl hinterlassen. Wie können wir damit umgehen?

Das Wichtigste scheint mir zu sein, Ängste möglichst achtsam im Hier und Jetzt wahrzunehmen, sie nicht zu verdrängen, sie aber auch nicht überzubewerten. Ängste beziehen sich immer auf die Zukunft. Die Zukunft mag schwierig werden, es werden sich aber immer auch Wege finden, sie kreativ zu gestalten.

Gibt es so etwas wie psychische Reserven und wenn ja, wie können wir diese wieder stärken oder auffüllen?

Durch Stille, Rückbesinnung auf sich selbst. Dadurch, dass man sich Zeit lässt. Dadurch, dass man sich nicht zu viel von Unwesentlichem ablenken lässt.

Wie gehen Sie selbst mit Krisen um? Was hilft Ihnen, in diesen Zeiten nicht den Überblick zu verlieren?

Meditation, also durch das, was ich auf die vorherige Frage geantwortet habe.

Neurosen gelten als Persönlichkeitsstörungen. Haben wir nicht alle unsere Löcher in den Socken? Und ist es nicht auch wichtig, diese zu haben? Ab wann wird es problematisch?

Der Mensch ist ein fehlbares und vorläufiges Wesen. Insofern ist klar, dass er keineswegs perfekt ist. Braucht er aber auch nicht zu sein, denn durch Fehler wird man klug, oder man kann es zumindest werden. Problematisch wird es, wenn man die Löcher in den eigenen Socken nicht sehen will.

Eines meiner vielen Lieblingszitate von Ihnen:

“Je mehr man sich damit befasst, sich gegen das Schicksal zu sträuben, statt etwas damit anzufangen, desto übler wird das Schicksal sein, das aus dem Widerstand entsteht.”

Können Sie uns das näher erklären? In der Regel bedeutet Schicksal vor allem Leid und davon möchten wir uns schnellstmöglich befreien. Ist das ein Widerspruch mit der Aussage im Zitat, denn die Schulmedizin und die Pharmaindustrie sind ja hocherfreut über unsere raschen Genesungswünsche?

Zum Schicksal des Menschen gehört es, in eine Welt hineingeboren zu werden, die seiner Existenz Widerstände entgegensetzt. Deshalb ist Leid unvermeidlich. Leid ist aber nicht nur Störfaktor eines guten Lebens, sondern auch Anreiz, die eigenen Kräfte möglich sinnvoll einzusetzen, damit das Leben besser wird.

Ist Altruismus unsere beste Eigenschaft oder kann sie auch krank machen? Ich denke hier vor allem an Mütter, die das Pflichtgefühl, die Liebe womöglich als oberste Maxime ansehen und dabei ihren eigenen Weg, oder ihre innere Aufgabe/Bestimmung verdrängen.

Es fällt mir schwer, eine Rangordnung guter Eigenschaften aufzustellen, weil sie sich oft wechselseitig bedingen und ineinander übergehen. Altruismus als bewusster Vorsatz, ein guter Mensch zu sein, kann jedoch in Selbstgefälligkeit entgleisen. So mancher gute Mensch ist eher gut, weil er sich damit moralisch überlegen fühlt, als dass ihm diejenigen an die er seine Wohltaten verteilt, tatsächlich am Herzen lägen. Auch Mütter leiden nicht selten daran, anderen Herausforderungen des Lebens aus dem Wege zu gehen, indem sie sich an ihre Mutterrolle klammern. Da die Mutterrolle von den meisten als wertvoll angesehen wird, ist die Versuchung gross.

Sind Mütter immer verantwortlich für die Neurosen der Kinder?

Nein, das sind sie nicht. Die Mutter-Kind-Beziehung ist zwar sehr wichtig, aber sie ist nicht die einzige Beziehung, durch die ein Kind beeinflusst wird. Überhaupt ist es oft eine Sackgasse, den einen für die psychischen Probleme des anderen verantwortlich zu machen. Auch Mütter können als Werkzeuge des Schicksals gedeutet werden und es bringt mehr, das Schicksal aus eigener Kraft zu lenken als festzulegen, wer Schuld daran ist.

Wir sprechen heute viel über Freiheit. Wie frei sind wir wirklich in unserer technischen Welt, in einer Wirtschaft, die uns zu abhängigen Konsumidioten macht?

Tatsächlich versucht die Wirtschaft, uns zum Konsum ihrer Produkte zu bewegen. Das gehört zu ihrem Wesen. Wir haben aber die Freiheit, auf das zu verzichten, was uns nicht wirklich guttut. Man muss sich aber die Mühe machen, herauszufinden, was das ist.

Wie können wir werden, was wir sind, um mit Nietzsche zu sprechen?

Wir sind schon, was wir sind. Wir können es nicht werden. Wir können es nur erkennen. Sobald wir es erkennen, verändern wir uns.

Würde es die Welt besser machen, wenn wir uns mehr um unseren “inneren Auftrag” kümmern würden als primär unser Äusseres zu optimieren?

Ja. Das Glück ist ein innerer Zustand. Äusseres kann Glück nur bedingt und meist kurzzeitig bewirken. Würden wir nach dem Glück im Inneren suchen, jagten wir weniger im Äusseren hinter ihm her. Eine Welt mit weniger Jägern wäre wahrscheinlich besser für uns.

Wo sehen Sie die grössten Probleme unserer Gesellschaft?

Im Fehlen einer glaubhaften spirituellen Tradition. Im Hunger nach materiellen Gütern. Im Irrglauben, dass die Person sich selbst gehört.

Wieso ist der Mensch so gierig und ausbeutend (immer mehr, höher, schneller und noch billiger)?

Meines Erachtens ist der Mensch so gierig, weil er in einer gefährlichen Welt lebt und daher unterschwellig ständig Angst hat, dass ihm etwas Schlimmes zustossen könnte. Seine Gier kann so als Vorsichtsmassnahme verstanden werden. Je mehr er hat - so die Logik dessen, der sich vor dem Leben fürchtet - desto besser ist er auf zukünftige Gefahren vorbereitet.

Fehlt es ihm an einer inneren Entwicklung?

Ja, es fehlt dem Menschen an innerer Entwicklung. Wenn er erkennt, dass sich das - für ihn - wirklich Wertvolle in ihm selbst befindet und nicht um ihn herum, desto mehr kann er von seiner Gier nach Äußerem ablassen.

(Das Interview führte Monika Minder am 17. Januar 2023)

Wenn man nicht weiss, was man tun soll, kann man tun, wozu man mehr Mut braucht.

(© Michael Depner, Wupperthal)

Naturfoto mit Lichtstimmung über Waldlandschaft und Zitat von Michael Depner

© Bild menschen-und-leben.net, darf ausgedruckt und privat (nicht im Internet und nicht kommerziell) kostenlos verwendet werden.

Stimmungsvolles Naturbild mit Zitat von Michael Depner.

ZITATE von Herrn Depner

Altruismus

Jenseits des Altruismus gibt es die Liebe. Während Altruismus ein Ziel zu erreichen versucht, hat Liebe das ihre gefunden.

(© Michael Depner, Wuppertal)

Zufrieden sein

Zufrieden zu sein, heisst nicht mehr zu wollen. Nicht mehr zu wollen, fällt leichter, wenn man dem Himmel für das, was man hat, dankbar ist.

(© Michael Depner, Wuppertal)

Erwartungen

Überlassen Sie Ihr Kind dem Subjekt, das in ihm zum Ausdruck kommt. Verlangen Sie nicht, dass es Ihren Erwartungen dient. Wer seinem Kind respektvoll entgegenkommt, macht es dem Himmel nicht streitig.

(© Michael Depner, Wuppertal)

Scham

Je mehr man aus Scham in Verstecke flieht, desto mehr schämt man sich dafür, dass man es tut. Jedes Dasein ist auch die Aufgabe, zu dem zu stehen, was man tatsächlich ist.

(© Michael Depner, Wuppertal)

Liebe

Liebe ist oft Maske. Man erkennt es, sobald der vermeintlich Liebende über den Geliebten bestimmen will und der vermeintlich Geliebte sich dem Zugriff entzieht.

(© Michael Depner, Wuppertal)

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Seele und Gesundheit: Existenzielle Grundlagen von Michael Depner - Taschenbuch

Seele und Gesundheit

Die informative und wissenswerte Seite von Michael Depner mit vielen tiefsinnigen Zitate.

Praxis Dr. Depner

Psychiatrisch-psychotherapeutische Praxis in Wuppertal.

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