Ein Mensch ist immer das Opfer seiner Wahrheiten.
(Albert Camus, 1913-1960)
...gilt in dieser Welt nur so viel, als wozu er sich selbst macht.
(Adolph Freiherr Knigge, 1752-1796, deutscher Schriftsteller)
Ist der Mensch durch ein Evolutionsspiel in die Welt geworfen worden oder kann er mehr als nur da sein durch einen Zufall, mehr sein als nur ein blosses Schicksal? Der Gedanke, der Mensch könnte ein absichtliches Exposé sein, scheint modernen Menschen fremd geworden.
Sollten wir die Frage "Was ist der Mensch?" neu stellen oder gar nicht mehr stellen? Weil der Mensch einfach ist. Weil ja doch niemand so genau weiss, wie und wo und wir uns mit der Urknall- wie mit der Gott-Theorie auf der Ebene des Nichtwissens befinden.
Kann aus dem Nichts, überhaupt etwas entstehen oder muss auch der Urknall "gezündet" werden, so ähnlich wie eine Rakete an Silvester?
Aus dem Nichts kann nichts entstehen, da sind wir uns einig. Energie war folglich schon immer. Diese Energie nennt man kosmische Hintergrundstrahlung. Die Urknall-Theorie ist Kindern leicht erklärt, aber wie machen wir das mit dem lieben Gott?
Ganz ehrlich, ich weiss es auch nicht so genau.
"Wie sieht Gott eigentlich aus?" Auf diese Frage hat Joseph Ratzinger im Buch "Gott und die Welt" gesagt, man könne sich Gott so vorstellen wie wir ihn durch Jesus Christus kennen. Christus soll ja einmal gesagt haben: "Wer mich ansieht, sieht den Vater."
Was ist der Mensch? Dieses Geheimnis bleibt Geheimnis und womöglich sind alle Bestrebungen nach Deutung und Erklärung sinnlos, weil das Geheimnis zu gross ist, um in unser Hirn "gepflanzt" zu werden.
Die Frage "Was ist der Mensch?" ist die vierte Frage des deutschen Philosophen Immanuel Kant (1724-1804), die im Logik Handbuch zu Vorlesungen auftaucht. Bereits früher hat er die folgenden drei Fragen erläutert:
Was kann ich wissen?
Was soll ich tun?
Was darf ich hoffen?
(die drei Fragen sind erschienen in der Kritik der reinen Vernunft; 2. Transzendentale Methodenlehre; 2. Hauptstück, 2. Abschnitt)
Diese vier Kantischen Fragen haben zu jeder Zeit bewegt und bewegen. Bereits Thales, einer der Milesischen Denker stellte die Frage nach dem Grund, nach dem "Was ist (die Welt)?" Die Liebe zur Weisheit, die Frage nach dem Ursprung und Urgrund von allem hat eine lange Tradition. Als weise galt dabei nicht, wer über zahlreiche Erfahrungen verfügte und die anderen mit seinen Fähigkeiten übertrumpfte. Weise war jener, der das Ungewisse, das Unbekannte fassbar macht, der aufklärt und Licht ins Dunkle bringt.
Mit der Frage, was ist der Mensch kommen wir auch heute noch an die Grenzen. Die Frage "Was ist?" zielt nur auf das Wesen der Dinge. Wie der Philosoph und Historiker Franz Rosenzweig (1886-1929) haben wir noch die Möglichkeit nach dem "Wo?" zu fragen. Nach dem "Ort" der menschlichen Verantwortung.
DAS WESEN DES MENSCHEN
Einerseits gehören wir zur Natur und doch sind wir anders. Das ergibt eine spannungsgeladene Beziehung. Jenseits aller Gegenständlichkeit ist das Wesen des Menschen (der innerste Kern unserer Existenz) beheimatet. Aus diesem Quell heraus hat der Mensch die Möglichkeit, Erfahrungen zu machen.
Der Mensch ist. Geworfen in die Welt (Heidegger) muss er anscheinend sein. "...verlassen auf der Erde inmitten seiner unendlichen Verantwortlichkeiten..." (Sartre). Das kann Angst auslösen und ein Gefühl von Alleinsein, Verlassenheit. Was wiederum den Trieb, sich festzuhalten nährt und die Sehnsucht nach Nähe eines anderen (oft materielle Dinge).
In der Erfahrung des Selbstbewusstseins, der Entdeckung des geschichtlichen Seins, der Sprache und auch der Arbeit hat der Mensch die Möglichkeit sich Schritt für Schritt selbst zu entdecken. Sich zu finden. Hat man in der Antike nach dem "Was ist die Welt?" gefragt, bei Kant "Was ist der Mensch?", fragen wir heute: "Wer bin ich?"
Um das herauszufinden, braucht es ein Weggehen (Ernst Bloch) von sich, Umwege, der Weg ins Leben, um sich zu verlieren im Anderen, im Fremden und erst wieder - reicher geworden - zu sich zurückzukommen. Fremdes affiziert uns und gibt die Möglichkeit, uns immer wieder neu kennenzulernen.
(© Monika Minder, geschrieben 14. Jan. 2023)
Z I T A T
Den Menschen kann man nicht anders als unter Menschen und im Umgange mit ihnen kennen lernen.
(Christian Garve, 1742-1798, deutscher Philosoph)
(Julie Eyth)
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...entdecken sich in ihren Waren wieder, sie finden ihre Seele in ihrem Auto, ihrem Hi-Fi-Empfänger, ihrem Küchengerät. Der Mechanismus selbst, der das Individuum an seine Gesellschaft fesselt, hat sich geändert, und die soziale Kontrolle ist in den neuen Bedürfnissen verankert, die sie hervorgebracht hat.
(Herbert Marcuse, 1898-1979, deutsch-amerikanischer Soziologie, Philosoph; aus: Der eindimensionale Mensch)
Was hat es auf sich mit den Menschen, die sich in ihren Waren entdecken und ihre Seele in Geräten finden? Sich ähnlich wie "Schizophrene" von einem Teil der Welt verschliessen, weil sie besessen in einem technischen Gerät nach irgendetwas suchen. Anstelle des Denkens rücken Geräte, welche uns sorglos und sicher von A nach B manövrieren, uns die Welt durch Algorithmen erklären und uns eintrichtern, was gut und schlecht ist, was wir kaufen und was wir unbedingt zu einem glücklichen Leben brauchen. Anders gesagt, was unsere Grundbedürfnisse sein sollen und wie wir sie befriedigen können.
Herbert Marcuse wies in seinem Werk: "Der eindimensionale Mensch" bereits 1964 auf das Verschleiern von Missständen mit Konsumversprechen hin und auf die Manipulation von Grundinstinkten, um aus dem Bedürfnis nach Geborgenheit und Sicherheit Profit zu ziehen.
Unsere Wirtschaftsordnung ist auf ständigen Konsum angewiesen. Der Verlust von Arbeitsplätzen dient als oberste Maxime, damit sich daran ja nichts ändert.
Wo wir allerdings nur die uns eingeimpften Bedürfnisse befriedigen, sind wir nicht frei.
Freiheit braucht eine Basis, die unverzichtbar verbunden ist mit Selbsterkenntnis. Der Umgang mit sich selbst, die Sorgsamkeit, ein bewusstes Identifizieren mit dem Dasein, Selbstliebe, das Wissen um den eigenen Wert und der Emotionen. Die Manipulierung und Entfremdung beginnen, wo wir uns unserer wahren Grundbedürfnisse nicht bewusst sind. Der innere Dialog entscheidet, wie wir auf die Welt künftig reagieren wollen.
Dabei hätte doch alles so schön begonnen. Maschinen und künstliche Intelligenz nehmen uns unbequeme Arbeiten ab und wir haben ganz viel freie Zeit und können uns endlich den wirklich wichtigen Dingen des Lebens widmen.
Tatsächlich gibt es in dieser komplexen hochtechnisierten Welt auch kleine und grosse Freuden. Nehmen wir nur mal die Möglichkeit des E-Mail-Kontaktes. Im Gegensatz zum Telefonieren kann ich mich unbeschwert verleugnen, Zeit vergeuden und frei entscheiden, wem ich wann und wo und überhaupt schreibe.
Nicht überall ist es so einfach, die veränderte Welt presst sich bereits tief in unsere Gegenwart ein, durchtränkt unsere Sinne und unsere Seele, reisst uns heraus aus der Achtsamkeit, die wir für uns, für die anderen Menschen, für den Alltag benötigen und zerrt uns in einen Sog von Abhängigkeiten. Die Menschen finden gut, was andere gut finden, eignen sich unreflektiert "Wahrheiten" an und ziehen gegen alles Mögliche zu Felde. Dabei sprechen sie von Freiheitsrechten. Wo sie sich doch gerade dort zur Karikatur von Freiheit degradieren. Solange Freiheit im Innern nicht gefunden wird, kann aussen noch so lange gewettert werden.
Menschen machen sich abhängig von Beziehungen, Normen, Arbeitsstellen, Konventionen, der Technik, der Mode und vor allem von der Bestätigung anderer. Oft mehr des Prestiges wegen als aus wirklichem Interesse.
Z I T A T
Viele glauben, nur dann in Ordnung zu sein, wenn sie im Leben diese oder jene Rolle spielen. Sie haben keinen Respekt vor dem, was sie sind, sondern nur vor dem, was sie sein könnten.
(© Michael Depner, Wuppertal)
Kein Mensch ist nur eine Nachahmung. Doch viele machen sich zu Kopien. Das Internet bietet dafür grossen Vorschub. Ohne schöpferische Beherztheit den eigenen Weg zu gehen, das eigene Leben zu leben, bleiben sie Kopien. Der Mensch hat allerdings die Möglichkeit aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit herauszutreten. Wir können jederzeit umkehren. Wir müssen nicht alles tun, was wir können. Wir müssen uns selbst und der Natur den Lebensatem nicht wegnehmen. Wir müssen die Schöpfung nicht wie einen Sklaven behandeln und damit auch uns selbst nicht.
Angst, eines der häufigsten Symptome, weshalb Menschen beim Psychotherapeuten anrufen, findet eher einen Nährboden, wo wir uns als Abgetrennte zur Natur und abgetrennt von einem inneren Auftrag sehen. Wo wir uns selbst nicht ernst nehmen in unseren ureigensten Bedürfnissen und Interessen sind wir anfällig für Manipulationen.
Der Mensch ist ein komplexes Wesen und nicht ersetzbar durch Maschinen. Weitere Arbeitsstellen werden wegfallen durch noch mehr Einsatz von Geräten und künstlicher Intelligenz. Wo Arbeiten keine Freude machen, langweilig und gefährlich sind, sehen wir durchaus einen Sinn dieser Ablösung. Allerdings fallen teils auch Arbeiten weg, die wir ganz gerne noch "von Hand" machen würden und die einen Bezug zum Natürlichen und Sozialen aufrecht zu erhalten.
Was macht uns Menschen denn noch zu Menschen in diesem Gebilde aus vorgegebenen Ordnungen, Normen, Maschinen und Abläufen, in denen wir uns selbst zu abhängigen Konsumidioten erniedrigen, in denen wir uns abtrennen von unseren Wurzeln und den Möglichkeiten zu tiefergreifenden Dialogen? Wir haben längst gesehen, dass die Entwicklung des Menschen nicht über Maschinen erfolgt. In der Technik haben wir es weit gebracht, aber persönlich?
Die Frage ist, wie könnte es zu einem Einstellungswandel kommen? In Panik geraten oder sich doch eher auf den Geist berufen? Die Angst wächst mit der Entfremdung, der Entfernung von sich selbst und seiner Ur-Geborgenheit. Diese gilt es zurückzugewinnen und das wiederum geht nur, wenn wir uns nicht nur als Körper, nicht nur als Materie wahrnehmen, sondern auch als Seelen- und Geistwesen. Was tun wir aber? Wir zerbröseln in Äusserlichkeiten und Geschäftigkeit. Keine Zeit haben, heisst in der modernen Welt: Ich bin ja so wahnsinnig wichtig und wertvoll, ohne mich geht gar nichts.
Solange man geschäftig ist, kann man sich aber nicht mit seinen Gefühlen und Bedürfnissen verbinden. So verfängt sich der Mensch in Muster aus Überarbeitung und dem ständigen Drang beschäftigt sein zu müssen.
Durch die Technik können wir die ganze Nacht an Geräten hängen und uns oberflächlich unterhalten. Sogar während der Arbeit hängen viele an ihrem Handy und können keine Minute ohne sein. Entsprechend unkonzentriert wird gearbeitet.
Geräte einfach weglegen, wird nicht reichen. Vielmehr wird es eine Auseinandersetzung benötigen, die mit der Geborgenheit, aus der wir kommen zu tun hat, mit dem eigenen Wert und was wir daraus machen.
(© Monika Minder, 2012)
Z I T A T
Gerade ihre Regelmässigkeit ist die fürchterlichste Eigenschaft der Maschine.
(Joseph Weizenbaum, 1923-2008, deutsch-amerikanischer Informatiker)
(Seneca)
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... der Mensch sei und was er hier macht, möchte ich ein bisschen philosophieren. Aber ich sehe, dass wenn er aus dem Schoss kriecht bereits wie ein Verzweifelter weint.
(Giorgio Baffo 1694-1768, italienischer Dichter)
JEDE SEELE ENTHÄLT DIE GANZE WELT.
(© Marie A.H.)
Der Mensch hat nicht die Macht, von Gott zu sprechen wie von der menschlichen Natur des Menschen und wie von der Farbe eines von Menschenhand geschaffenen Werkes.
(Hildegard von Bingen, 1098-1179, deutsche Mystikerin, Äbtissin und Naturwissenschaftlerin, katholische Heilige)
WO MENSCHEN FÜR UNS LEUCHTEN, WÄCHST ZUVERSICHT.
(© M.B. Hermann)
Es gibt nichts auf der Welt, das einen Menschen so sehr befähigte, äussere Schwierigkeiten oder innere Beschwerden zu überwinden, - als: das Bewusstsein, eine Aufgabe im Leben zu haben.
(Viktor E. Frankl, 1905-1997, österreichischer Psychologe, Neurologe)
Das Muss ist hart, aber beim Muss kann der Mensch allein zeigen, wie's innwendig mit ihm steht. Willkürlich leben kann jeder.
(Johann Wolfgang von Goethe, 1749-1832, deutscher Dichter, Schriftsteller, Naturforscher)
Man kann sagen, in dem aufgerissenen Leib Jesu am Kreuz sehen wir, wie Gott ist, nämlich der, der sich bis zu diesem Punkte für uns aus-gibt.
(Joseph Ratzinger, 1927-2022, eremitierter Papst Benedikt XVI)
Was die Leute heute überwiegend mit dem Netz anstellen – das Surfen ohne klar definiertes Ziel – ist eine Dummheit.
(Joseph Weizenbaum, 1923-2008, deutsch-amerikanischer Informatiker)
Der Weltmann kennt gewöhnlich die Menschen, aber nicht den Menschen. Beim Dichter ist's umgekehrt.
(Marie von Ebner-Eschenbach, 1830-1916, österreichische Erzählerin, Novellistin und Aphoristikerin)
Die wirksamste und zäheste Form des Kampfes gegen die Befreiung besteht darin, den Menschen materielle und geistige Bedürfnisse einzuimpfen, welche die veralteten Formen des Kampfes ums Dasein verewigen.
(Herbert Marcuse, 1898-1979, deutsch-amerikanischer Philosoph, Politologe, Soziologe)
Eine Erfahrung zu machen heisst, von der Erfahrung gemacht zu werden. Wer etwas mit sich machen lässt, vertraut sich an.
(© Michael Depner, Wuppertal)
Was ist der Stolz des stolzesten Menschen gegenüber dem Stolz des Menschen, der sich in Natur und Welt als Mensch fühlt.
(Friedrich Nietzsche, 1844-1900, deutscher Philologe, Philosoph)
Zur Schöpfung ja sagen, zu den Geschöpfen, vor allem zum Menschen, in jedem zu versuchen, ein Bild Gottes zu sehen und dadurch ein Liebender zu werden.
(Joseph Ratzinger, 1927-2022, eremitierter Papst Benedikt XVI)
Ein Krieg ist das Leben des Menschen gegen die Bosheit des Menschen.
(Baltasar Gracián y Morales, 1601-1658, spanischer Jesuit, Moralphilosoph und Schriftsteller)
Der wahre Kontakt zwischen zwei Menschen stellt sich nur durch die stumme Gegenwart her, durch den Anschein einer Nicht-Kommunikation, durch jenen geheimnisvollen Austausch, der einem inneren Gebet entspricht.
(Emil Cioran, 1911-1995, rumänischer Philosoph)
Einst wart ihr Affen, und auch jetzt noch ist der Mensch mehr Affe, als irgend ein Affe.
(Friedrich Nietzsche, 1844-1900, deutscher Philosoph)
Wer Weisheit mit Heiterkeit und Liebenswürdigkeit verbindet, hat die höchste Stufe im Menschenleben erreicht.
(William McDougall, 1871-1938, britischer Psychologe)
Ob man sich einsam fühlt, wenn man allein ist, hängt davon ab, ob man sich selbst genügt oder ob man glaubt, dass man von anderen ergänzt werden muss.
(© Michael Depner, Wuppertal)
Das Zusammentreffen von zwei Persönlichkeiten ist wie eine Mischung zweier verschiedener chemischer Körper: Tritt eine Verbindung ein, so sind beide gewandelt.
(C.G. Jung, 1875-1961, schweizer Psychiater)
Die Lösung für die Menschheit liegt in der richtigen Erziehung der Jugend, nicht in der Heilung von Neurotikern.
(Alexander Sutherland Neill, 1883-1973, britischer Pädagoge)
(Aristoteles)
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Schriften von Adolph Freiherr Knigge
Der Umgang unter Menschen von gleichen Jahren scheint freilich viel Vorzüge und Annehmlichkeiten zu haben. Ähnlichkeit in Denkungsart und wechselseitige Austauschung solcher Ideen, die gleich lebhaft die Aufmerksamkeit erregen, ketten die Menschen aneinander. Jedem Alter sind gewisse Neigungen und leidenschaftliche Triebe eigen. In der Folge der Zeit verändert sich die Stimmung; man rückt nicht so fort mit dem Geschmacke und der Mode; das Herz ist nicht mehr so warm, faßt nicht so leicht Interesse an neuen Gegenständen, Lebhaftigkeit und Phantasie werden herabgestimmt; manche glücklichen Täuschungen sind verschwunden; viel Gegenstände, die uns teuer waren, sind um uns her abgestorben, entwichen, unsern Augen entrückt; die Gefährten unsrer glücklichen Jugend sind fern von uns oder schlummern schon im mütterlichen Schoße; der Jüngling hört die Erzählungen von den Freuden unsrer schönsten Jahre nur aus Gefälligkeit ohne Gähnen zu. Gleiche Erfahrungen geben reichhaltigern Stoff zur Unterhaltung, als wenn das, was ein Mensch erlebt hat, dem andern ganz fremd ist. – Das alles leidet keinen Widerspruch; doch rückt Verschiedenheit der Temperamente, der Erziehung, der Lebensart und der Erfahrungen diese Grenzlinien oft vor und zurück. Viele Menschen bleiben in gewissem Betrachte ewig Kinder, indes andre vor der Zeit Greise werden. Der an Leib und Seele abgenutzte Jüngling, der alle Weltlüste bis zum Ekel geschmeckt hat, findet freilich wenig Genuß im Zirkel junger unschuldiger Landleute, die noch Sinn für einfache Freuden haben, und der alte Biedermann, der nicht weiter als höchstensin einem Umkreise von fünf Meilen sich von seiner Heimat entfernt hat, ist unter einem Haufen erfahrner und belebter Residenzbewohner, mit ihm von gleichem Alter, ebensowenig an seinem Platze als ein betagter Kapuziner in einer Gesellschaft von alten Gelehrten. Dagegen aber binden auch manche Neigungen, zum Beispiel die noblen Passionen der Jagd, des Spiels, der Medisance und des Trunks, vielfältig Greise, Jünglinge und alte Weiber recht herzlich aneinander. Diese Ausnahme von jener allgemeinen Bemerkung, von der Bemerkung: daß der Umgang unter Leuten von gleichen Jahren viel Vorzüge hat, kann indessen die Vorschriften nicht unkräftig machen, die ich jetzt über das Betragen der Menschen von verschiednem Alter gegeneinander geben werde; nur muß ich noch eine Anmerkung hinzufügen. Es ist nicht gut, wenn eine zu bestimmte Absonderung unter Personen von verschiedenem Alter stattfindet, wie zum Beispiel in Bern, wo fast jedes Stufenjahr seine eigenen, angewiesenen gesellschaftlichen Zirkel hat, so daß, wer vierzig Jahre alt ist, anständigerweise nicht mit einem Jüngling von fünfundzwanzig Jahren umgehn kann. Die Nachteile eines solchen konventionellen Gesetzes sind wohl nicht schwer einzusehn. Der Ton, den die Jugend annimmt, wenn sie immer sich selbst überlassen ist, pflegt nicht der sittlichste zu sein; manche gute Einwirkung wird verhindert, und alte Leute bestärken sich im Egoismus, Mangel an Duldung, an Toleranz und werden mürrische Hausväter, wenn sie keine andern als solche Menschen um sich sehen, die mit ihnen gemeinschaftliche Sache machen, sobald von Lobeserhebung alter Zeiten und Heruntersetzung der gegenwärtigen, deren Ton sie nie kennenlernen, die Rede ist.
(Adolph Freiherr Knigge, 1752-1796, deutscher Schriftsteller)
Mensch Anfangen Beginnen Depressionen Leben Sprüche Zitate Vorsätze Der Mensch Tucholsky Neurodermitis Mensch gegen Natur Studie über Minderwertigkeit von Organen Neuanfang Neujahr Interview mit Psychotherapeut Natur Philosophen Philosophinnen Abnehmen Vorsokratiker-Die Frage nach dem Grund
Etymologie und Artname, Merkmale des Körpers, Lebensweise, Taxonomie und Genetik, Entwicklungsgeschichte, Soziales und Kulturelles, Menschheitsfragen..
Wieviele Menschen leben auf der Welt?
Im Sommer sind die Menschen anders als im Winter. Informatives und Wissenswertes.
Tiefsinnige Texte und Zitate von und über den Menschen.